Was bedeutet es, wenn man von Mädchen- oder Jungskram spricht? Ist es richtig, Berufe mit Geschlechtern zu assoziieren? Nein, wie Chiara Krähenbühl beweist. Sie beginnt im Sommer 2022 eine Lehre als Strassentransportfachfrau. Ein Entscheid für ihre Passion.
«Hey dieses Video musst du dir auch noch anschauen. Das ist ein Volvo-LKW mit richtig coolem Sound und Beleuchtung.» Ich sehe, ich höre. Vor allem aber erkenne ich. Bei Chiara Krähenbühl ist Leidenschaft zu spüren. Sie ist mit Herzblut an allem mit einem Motor interessiert. Ausnahme bilden nur Traktoren und momentan noch Motorräder, wie sie klar macht. Doch woher kommt diese Begeisterung für Maschinen, in denen Zylinder durch kontrolliertes Verbrennen von Diesel oder Benzin angetrieben werden und Vorschub leisten?
Chiara hat noch kaum das Licht der Welt erblickt, da kam sie bereits in Kontakt mit Motoren. Zuerst beim VW-Treff am österreichischen Wörthersee, dann beim Trucker Festival in Interlaken. Zu diesem Zeitpunkt war sie einen Monat alt. «Mein Mann Martin war mit seinem LKW in der Truck-Meile. Ich besuchte ihn und habe Chiara im Kinderwagen einfach mitgenommen», sagt Mutter Sabine im Gespräch. Klappte das ohne Probleme? «Ja, sie blieb ganz ruhig und war zufrieden.» Seither ist Chiara jedes Jahr am Trucker Festival. Für sie die drei schönsten Tage des Jahres: «Ich fühle mich dort einfach wohl. Es hat so viele LKW und es ist immer viel los. Die Menschen sind unkompliziert, alle helfen einander, es ist wie eine grosse Familie. Das macht mich glücklich.»
Gross und vielseitig
Doch zurück zu ihren Kindheitstagen. Während andere Mädchen mit Puppen spielen, spielte Chiara lieber mit Modellautos und einem Parkhaus. Im Alter von drei Jahren kraxelte sie, sobald Vater Martin von der Arbeit als LKW-Fahrer nach Hause kam, auf dessen Schoss und half beim Parkieren. Bald einmal – auf sicherem und abgesperrtem Gelände – fuhr sie mit einem Töffli. «Da habe ich mich mal leicht am Auspuff verbrannt», sagt Chiara. Und fügt lachend an: «Das gehört dazu.»
Ihr Vater Martin arbeitet bei der H.U. Kobel AG in Mattstetten. Chiara durfte – wenn sie schulfrei oder Ferien hatte – oftmals bei ihm mitfahren. Doch nicht nur: «Mein Vater hat mir ab und zu die Möglichkeit gegeben, den Kran oder Haken des LKWs zu bedienen», so Chiara. Kleinigkeiten, die immer mehr ihre Leidenschaft für LKW zum Vorschein brachten: «Sie sind einerseits gross, andererseits vielseitig einsetzbar. Das hat schon was.» Bis heute begleitet sie ihren Vater wann immer möglich.
Was viele nicht wissen, weiss Chiara
Je älter sie wurde, desto präsenter wurde an der Schule das Thema Lehre. Schnell war für Chiara klar, sie will wie «Dad» hinters Steuer eines LKWs: «Ich habe zwar noch Schnuppertage und -wochen in anderen Berufen verbracht, etwa Kleinkindererzieherin oder Aktivierungstherapeutin. Aber das hat mir nicht so zugesagt. Ich ging auch noch als Automobil-Mechatronikerin Nutzfahrzeuge schnuppern. Das hätte schon zwar besser gepasst, aber ich wollte auch mit dem LKW unterwegs sein können und nicht in einem Gebäude festsitzen.»
In der Schule wurde ihr nahegelegt einen anderen Beruf zu wählen. Einen, der vielleicht mehr zu Mädchen passen und ihren schulischen Leistungen entsprechen würde. «Aber das wäre nicht Chiara. Sie wäre unglücklich in einem Büro oder sonst wo. Es gibt viele, die lange nicht wissen, welchen Beruf sie erlernen möchten. Chiara aber weiss das ganz genau. Ich finde das super und bin froh darüber», sagt Mutter Sabine.
Ein Bewerbungsschreiben reicht
Chiaras Klassenkameraden sind geteilter Meinung über ihre Berufswahl. Es gebe solche, die können es nicht nachvollziehen. Die davon ausgehen, dass die Arbeit zu anstrengend sein werde. Andere fänden es aber cool, dass sie Strassentransportfachfrau werden will. Dass ihre Berufswahl überhaupt ein Thema ist, findet sie schade: «Alle – ob Frau oder Mann – sollen doch machen dürfen, was ihnen Spass und Freude macht.»
Grund zur Freude hatte Chiara letzten Herbst. Bereits in der achten Klasse entschied sie sich, eine Bewerbung für eine Lehre als Strassentransportfachfrau bei der Kästli Transport AG zu verschicken. Es sollte bei dieser einen Bewerbung bleiben: Nach Wochen des Wartens erhielt sie kurz vor den Herbstferien den positiven Entscheid. «Ich war sehr erleichtert, da ich von Anfang an gerne zu Kästli wollte», so Chiara.
Ein eigener LKW
Die nächsten drei Jahre sind somit klar: «Im ersten Lehrjahr werde ich mehrheitlich in der Werkstatt sein. Im zweiten Lehrjahr, wenn ich dann 17 Jahre alt bin, erhalte ich den Lehrfahrausweis. Und im letzten Lehrjahr – falls ich dann die Fahrprüfung bestehe – werde ich dann wohl selbstständig mit dem LKW unterwegs sein dürfen.» Die Vorfreude ist deutlich in ihren Augen zu sehen, wenn sie darüber spricht. Freut sie sich denn auch auf die Schule? «Eigentlich weniger, aber da es mit dem Beruf zu tun hat, glaube ich, dass es schon interessant sein wird.»
Bis dahin dauert es noch ein wenig. In der Zwischenzeit wird sie sich wohl an ihrem Töffli rumschrauben, Spiele der Young Boys Bern anschauen und Zeit mit Freunden verbringen. Und vom eigenen LKW träumen: «Es wäre schon cool, eines Tages einen eigenen Volvo-LKW zu haben. Aber das liegt noch weit in der Zukunft. Zuerst will ich die Lehre beginnen und erfolgreich abschliessen. Das wird bereits ein grosses Abenteuer werden.» Eines, auf das sie sich seit Kindheitstagen freut.